Im Interview verrät Dr. Dr. Despeghel, womit du selbst ohne Langhantel zu Hause trainieren kannst
12. November 2020
von Franziska Schindler

Sportwissenschaftler verrät

Coronavirus: So verhinderst du Muskelabbau!

Die Coronavirus-Zahlen in Deutschland steigen weiter an und immer mehr Menschen klagen über Covid-19 Symptome. Dennoch hast du vielleicht die Horrorvorstellung, dass eine längere Trainingspause wegen der geschlossenen Gyms deine Muskeln schwinden lässt. Weil wir dir während dieser Zeit gerne zur Seite stehen, haben wir für dich mit dem renommierten Sportwissenschaftler Dr. Dr. Michael Despeghel (60) gesprochen. Während du dir brav die Hände wäscht, sichern wir dir deine Gains!

Herr Dr. Dr. Despeghel, die Gyms haben aufgrund der aktuellen Situation geschlossen. Angenommen, ich bin bisher regelmäßig zum Krafttraining gegangen. Was passiert, wenn ich jetzt zwei bis drei Monate gar nichts machen würde?

Wenn jemand acht, zehn oder zwölf Wochen gar nichts macht, dann ist er plötzlich wieder auf dem Nullpunkt angelangt. Das geht ziemlich schnell. Leider umso schneller, je besser man war. In den ersten vier Wochen kann man den Muskelabbau noch stabilisieren, aber danach wird man ganz ohne Training gut abrutschen und mit 40 bis 50 Prozent weniger Belastungsfähigkeit enden. Wir können Leistungsfähigkeit also leider nicht konservieren. Der Körper braucht immer wieder neue Reize, um die Muskeln zu erhalten oder gar aufzubauen. Das ist die Tragik der Physiologie!

Das heißt, wenn ich mich nicht von meinen Muskeln trennen möchte, muss ich trotz geschlossener Studios trainieren. Was sollte man beim Training zu Hause beachten?

Beim Krafttraining geht es ja um die Vernichtung der muskulären Akzeptanz. Ich muss den Saft, den ich im Muskel habe, durch starke Belastung und wenig Pause verbrennen, bis kein Nachschub mehr kommen kann und er mir neue Fasern geben muss und wächst. Das ist die Kunst! Wenn ich bereit bin, mich so anzustrengen, dann kann ich meine Muskeln selbst zu Hause erhalten.

Nun ist das beim Training zu Hause gar nicht mal so leicht. Wie kann ich trotz fehlendem Equipments diese Intensität erreichen?

Training definiert sich ja durch Dauer, Intensität und Häufigkeit. Wenn jetzt die Intensität ohne Geräte zu Hause schwer umzusetzen ist, kann ich mein eigenes Körpergewicht so einbauen, dass Häufigkeit und Dauer des Trainingsreizes zunächst mal verändert werden. Nehmen wir an, jemand hat bisher eine Übung mit 60 bis 70 Prozent seiner maximalen Kraft und zum Beispiel mit 15kg-Hanteln gemacht und damit vier Sätze mit sechs Wiederholungen geschafft. Dann ist es eine Möglichkeit zu sagen, okay ich erhöhe oder verdopple den Umfang, also von vier Sätzen auf acht. Und die Wiederholungszahl entsprechend auch. Damit setze ich wieder einen ganz anderen Reiz, weil mein Körper das eben noch nicht kennt. So kann ich den Muskelerhalt eine Zeit lang ganz gut hinbekommen.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, um ein Home-Workout intensiver zu gestalten?

Überschwellige Reize kann ich auch durch drastisch verkürzte Pausen erzielen. Also ich warte nicht wie sonst zwischen den Sätzen eine Minute, sondern verändere die Pausen total, wie zum Beispiel im Tabata – der japanischen Physiologie. Da haben wir meinetwegen einen Reiz von zehn Sekunden und 20 Sekunden Pause. Hier sollte man sich strikt einen Wecker stellen, damit man auch nicht länger wartet. Nach sechs bis acht Sätzen wird man merken, wie man seinen Körper in eine ungewohnte Lage versetzt und das Brennen deutlich spüren!

Allein das Training im eigenen Wohnzimmer wird für viele eine ungewohnte Situation sein. Welche Übungen für zu Hause können Sie besonders empfehlen?

Der Kauf einer Klimmzugstange könnte sich jetzt lohnen, wenn man sein Training eine längere Zeit improvisieren muss. Die kann man sich auch bestellen. Oder ich finde draußen zum Beispiel eine Teppichstange, nach draußen dürfen die meisten ja noch. Klimmzüge sind eine Übung, mit der man nahe an 80 Prozent der Maximalkraft kommt und somit auch eine längere Zeit ohne Fitnessstudio durchhalten kann, ohne Muskeln abzubauen.

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Nicht jeder hat eine Klimmzugstange zu Hause, findet eine Teppichstange im seinem Umfeld oder möchte einfach unmittelbar mit dem Training anfangen. Welche Übungen sollen diese Leute machen?

Klassische Übungen im Ganzkörper-Bereich, wie zum Beispiel Kniebeugen, einbeinige Kniebeugen, Liegestütze, Planks. Also komplexe Übungen, die große Muskelgruppen auf einmal beanspruchen. Wenn ich diese in einem erhöhtem Umfang und mit stark beschränkter Pause einbaue, dann kann ich den Reiz sicherlich für sechs Wochen stabilisieren.

Nun ist das Training in den eigenen vier Wänden für viele nur ein schlechter Ersatz. Können Sie diese Leute aufmuntern?

Ja, es gibt eine gute Nachricht! Viele Menschen gehen ins Fitnessstudio und fangen mit derselben Übung an und hören auch mit derselben wieder auf. Damit haben sie eine Routine geschaffen, an die sich der Körper ja gewöhnt. Wenn ich jetzt aber andere Trainingsmöglichkeiten aufnehme, die primär zu Hause stattfinden müssen, habe ich die Chance, einen neuen Reiz zu setzen, den der Körper noch nicht kennt. Damit gebe ich ihm das Potenzial, zu stabilisieren und vielleicht sogar den ein oder anderen Muskel aufzubauen.

Also kann diese Trainingsumstellung sogar Vorteile haben?

Kurzfristig ja! Man kann auf jeden Fall etwas für die Zukunft mitnehmen, sobald wieder normal trainiert werden kann. Man sollte sein Training unbedingt abwechseln und nicht immer nur beim Gleichen belassen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt für den Muskelaufbau!

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Nun eine Frage für alle, die ihr Training nicht umstellen, sondern eine komplette Auszeit einlegen. Wie lange brauchen diese Leute, um ihre Muskeln wieder aufzubauen?

Das hängt davon ab, ob ich in dieser Zeit die Ernährung entgleisen lasse. Denn das eine bedingt ja auch das andere. Nach dem Motto „ich kann ja jetzt eh nichts machen“ greifen viele zur Chips-Tüte und zur Schokolade. Das wird zur Folge haben, dass die Fetteinlagerung hoch- und die Belastungsfähigkeit runtergeht. Danach fangen sie also wieder von vorne an. Um dann wieder in die alte Form zu kommen, dauert es mindestens so lange, wie man pausiert hat. Also wenn ich drei Monate lang nichts mache, zieht es sich in etwa genauso lange, meine Muskeln wieder aufzubauen.

Welche Vorteile hat es, wenn ich nach einer längeren Trainingspause wieder mit dem Krafttraining anfange?

Wenn der Körper in einer schlechteren Position ist, dann passt er sich wieder besser an. Das heißt der Hochtrainierte kann nur noch in kleinen Bereichen Optimierungen anstreben und erreichen. Der Untrainierte hingegen hat den Vorteil, sein Training in Dauer, Häufigkeit und Intensität einfacher zu steigern und passt sich so schneller wieder an. Und er wird nach der Pause auch wieder mehr Lust und Motivation haben.

Ich komme also nach meiner Auszeit hochmotiviert zurück ins Gym. Besteht nun ein höheres Verletzungsrisiko für mich?

Die meisten Unfälle im Kraftsport passieren, wenn ich im Hochleistungsbereich arbeite. Das heißt, mit fast 100 Prozent meiner Maximalkraft beim Bankdrücken, oder anderen schweren Übungen, wie Kniebeugen. Da können Sehnen, Bänder, Muskeln und Gelenke schon mal eine Überforderung erleben. Aber für denjenigen, der sich dabei mäßig belastet, besteht diese Gefahr nicht. Er soll sich halt aufwärmen, wie es empfohlen wird und dann seinem Programm folgen. Und die Muskelerschöpfung tritt ja in der Regel eh noch vor der möglichen Beschädigung von Systemen auf.

Wenn du deine Muskulatur über mehrere Monate erhalten willst, musst du regelmäßig trainieren. Home-Workouts sind jetzt deine Chance, um Neues auszuprobieren und deinen Körper ungewohnten Reizen auszusetzen. Du vermisst dein Gym aber schmerzlich? Das tun wir alle! Was gegen Liebeskummer hilft? Ein Muskelkater, er fühlt sich viel schöner an. Also runter von der Couch, jetzt werden deine Tränen durch Schweiß ersetzt!

Dr. Dr. Michael Despeghel Portrait Sportwissenschaftler Muskeln

Unser Experte Dr. Dr. Michael Despeghel arbeitet am Institut für Sportmedizin an der Justus Liebig Universität in Gießen und unterrichtet dort unter anderem den Masterstudiengang „Klinische Sporttherapie und Sportphysiologie“. Darüber hinaus ist er Beiratsmitglied der Deutschen Stiftung für Männergesundheit, Geschäftsführer der Gesundheitsconsulting Despeghel & Partner, sowie Vorstand der deutschen Gesellschaft für präventive Männermedizin e.V. Mit letzterer hat er im Rahmen von „Medizinmänner“ – ein Zusammenschluss von Ärzten und Sportwissenschaftlern – ein 6-Wochen-Programm  fürs Homeoffice herausgebracht. Das Ziel dieses Programms ist es, den 8-Level-Core-Test zu bewältigen. Dabei erzielst du mit nur einer Übung und wenig Zeit maximale Ergebnisse für deine Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit. Gleich mal ausprobieren!